Vor dem Weißen Haus in Washington demonstrierten im Februar Bürger in orangefarbenen Gefangenen-Anzügen für die Schließung des Militärgefängnisses in Guantànamo Bay auf Kuba

Vor dem Weißen Haus in Washington demonstrierten im Februar Bürger in orangefarbenen Gefangenen-Anzügen für die Schließung des Militärgefängnisses in Guantànamo Bay auf Kuba

ZEIT ONLINE: Herr Miles, Sie machen seit Jahren darauf aufmerksam, dass auf einigen Militärstützpunkten der USA Gefangene gefoltert werden – und amerikanische Ärzte dabei nicht nur zusehen, sondern sogar assistieren. Was haben Sie gedacht, als Sie erfahren haben, dass auch in Guantánamo Ärzte bei Folter assistiert haben?

Steven Miles: Das hat mich nicht überrascht. Seit 2004 ist bekannt, dass das US-Verteidigungsministerium und die Geheimdienstbehörde CIA medizinisches Personal beschäftigen. Das sind Ärzte, Krankenschwestern und Psychologen, die Methoden entwickeln, wie man Gefangene zum Einknicken bringt. Sie sind außerdem dafür zuständig, während eines Verhörs, bei dem Gewalt angewendet wird, den Gesundheitszustand des Gefangenen zu überwachen. Es gibt zahlreiche Berichte von derartigen Fällen, und ich selbst habe zwei Bücher darüber geschrieben. In dem letzten Oath Betrayed: America's Torture Doctors geht es um die Folter in Abu Ghraib in Irak.ZEIT ONLINE: Das heißt, der Bericht des Internationalen Roten Kreuzes über die Situation in den Lagern in Guantánamo auf Kuba, der vergangene Woche veröffentlicht wurde, zeigt Missstände auf, die seit langem bestehen?

Steven Miles: Das Rote Kreuz klagt diese Zustände seit 2004 an. Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen, die Britische Ärztevereinigung BMA und das Europäische Parlament haben die US-Medizin dafür seither immer wieder kritisiert.

ZEIT ONLINE: Welche Konsequenzen haben Behörden und die US-Regierung aus den Vorfällen im Abu-Ghraib-Gefängnis gezogen, wo ebenfalls Ärzte an Folter-Verhören beteiligt waren?

PORTRÄT

Steven Miles 

Der Mediziner Steven H. Miles lehrt und praktiziert am Zentrum für Bioethik derUniversity of Minnesota in Minneapolis. 25 Jahre lang war er medizinischer Leiter des Amerikanischen Flüchtlingskomitees.

Miles war Präsident der American Society of Bioethics and Humanities und hat mehrere Bücher und mehr als 100 Aufsätze zu den Themen Menschenrechte, Medizin- und Bioethik geschrieben.

Steven Miles: Die größte US-Ärztevertretung, die American Medical Association, hat keine unabhängige Untersuchung mehr gefordert, seitdem sie den damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dazu aufgefordert hat, das System zu untersuchen, das er selbst entwickelt hat. Staatliche medizinische Genehmigungsbehörden und Berufsverbände weigern sich bislang, Beschwerden gegen besagte Ärzte und Psychologen anzunehmen oder auszuwerten.

ZEIT ONLINE: Sie haben unzählige Militärprotokolle und Behördenberichte durchforstet und lange dazu geforscht, warum Menschen foltern. Was, denken Sie, treibt Ärzte dazu, den hippokratischen Eid auf so extreme Weise zu brechen?

Steven Miles: Staaten, die foltern, brauchen Komplizen, die medizinisch oder psychologisch geschult sind. Dafür gibt es drei wesentliche Gründe: Erstens müssen sie Foltermethoden entwickeln, die keine körperlichen Narben hinterlassen. Zweitens darf der Gefangene bei der Folter nicht sterben, und drittens müssen die Ärzte und Psychologen dabei helfen, die Fälle zu vertuschen, in denen doch jemand an den Folgen gestorben ist. Etwa 60 Prozent der gefolterten Gefangenen berichten davon, dass ein Arzt während der Prozeduren dabei war. Das schließt natürlich nicht diejenigen ein, die durch Folter ermordet wurden und deren Totenschein gefälscht wurde.

ZEIT ONLINE: Das sind die politischen Gründe. Aber was geht in den Ärzten vor, die einmal geschworen haben, Menschen zu helfen?